Beschreibung
Mit Beiträgen von: Cornelia Blasberg, Walter Erhart, Markus Fauser, Jürgen Gunia, Jochen Grywatsch, Claudia Liebrand, Anke Kramer, Rüdiger Nutt-Kofoth, Marcus Twellmann, Barbara Thums, Peter Schnyder und Ulrike Vedder
Im Bewusstsein der Gegenwart hat das Paradigma der 'Beschleunigung' einen zentralen Platz erobert. Die aktuelle Fülle philosophischer und kulturwissenschaftlicher Studien dokumentiert, dass die teils faszinierende, teils bedrohlich wirkende Erfahrung einer unwiderruflich aus den Fugen geratenen Zeit fachlicher Erkundung und gesellschaftlicher Diskussion bedarf. Vor dem Hintergrund der neuen Aufmerksamkeit für das Phänomen 'Zeit' wird zweierlei deutlich: dass 'Zeit' keine vorgegebene Größe, sondern Produkt kultureller Verhandlungen ist, und dass viele heutige Überlegungen prominente Vorläufer um 1900 und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts hatten. Heinrich Heines berühmtes Diktum, dass die Eisenbahn Raum und Zeit vernichte, ist nur ein Beleg dafür. Die These, unter der die Beiträge in diesem Band versammelt sind, lautet demnach: Die Literatur der sog. 'Biedermeier'-Epoche muss neu gelesen und interpretiert werden, indem ihr vorgeblicher Quietismus als Ausdruck sich gegenseitig neutralisierender Spannungen, als Ergebnis einer Auseinandersetzung mit einer alle Lebensbereiche durchziehenden Temporalisierung und, damit einhergehend, dem Verlust gewohnter Orientierungsmöglichkeiten in Zeit und Raum begriffen wird.
Der vorliegende Band dokumentiert das Kolloquium "Zeit-Szenen. Zeit-Krisen. Zur Literatur der Annette von Droste-Hülshoff und der 'Biedermeier'-Epoche", das im April 2011 in Münster stattfand. Unter wechselnden Schwerpunktsetzungen gehen die Beiträge der Frage nach, wie literarische Texte die fundamentale Zeitkrise nach 1800 aufgreifen, welche wissenschaftlichen und philosophischen Diskurse (etwa aus den Bereichen der Geologie, der Paläontologie, der Traumforschung, des Erbschaftsrechts usw.) sie dabei zu Rate ziehen, wie überhaupt eine literarische Darstellung beschaffen sein kann, die nicht nur ihren Lesern neue Konzepte von Zeit anbietet, sondern die ihre eigene formale Struktur grundlegend 'temporalisieren' muss. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht das literarische Werk der Annette von Droste-Hülshoff, dessen Modernität sich in all seiner Widersprüchlichkeit durch vielfältige Seitenblicke auf zeitgenössische Texte in besonderer Weise erschließt. So bietet der Band aktuelle literaturwissenschaftliche Forschungsbeiträge zu Texten der berühmtesten Autorin des 19. Jahrhunderts und kann zudem als Kompendium gelesen werden, das aus kulturwissenschaftlicher Perspektive Aufschluss über das immer wieder neu zu reflektierende und gestaltende Problem 'Zeit' gibt.
Inhalt
Zur Einführung (S. 7)
Walter Erhart: AvDHs Westfalen-Projekt und die Zeit der Moderne (S. 17)
Markus Fauser: Zu früh oder zu spät geboren? AvDH und die Zeit der Epigonen (S. 41)
Marcus Twellmann: 'Stille Erdwinkel'. Zur geohistorischen Imagination des 'Biedermeier' (S. 71)
Peter Schnyder: Die Pluralisierung der Schöpfung. AvDHs Urzeitvision in der Mergelgrube (S. 119)
Claudia Liebrand: Versteinerte Zeit. AvDHs Mergelgrube (S. 119)
Barbara Thums: Zeitschichten: Abstiege ins Totenreich bei AvDH und Adalbert Stifter (S. 137)
Ulrike Vedder: Wiederkehr und Nachtleben. Zur testamentarischen Zeistruktur in AvDHs lyrischen Werken (S. 159)
Jürgen Gunia: Schattenzeiten des Raumes. Überlegungen zur 'Chronotopologie' der Sonnenfinsternis bei Adalbert Stifter und AvDH (S. 175)
Anke Kramer: Hydrographie der Zeit. Erlebte Zeit bei AvDH, Henri Bergson und Johannes Müller (S. 189)
Jochen Grywatsch: Wo Träume lagern langverschollner Zeit. Zum Verhältnis von Traum und Zeit in den Epen und der Landschaftsprosa der AvDH (S. 211)
Rüdiger Nutt-Kofoth: Im Gestern halb und halb im Heute. Aporien temporaler Situierung bei AvDH (S. 235)
Cornelia Blasberg: Erzählen im Stundentakt. Zur Poetik der Flüchtigkeit in AvDH Romanfragment Ledwina (S. 249)
Anhang
Verzeichnis der Siglen (S. 270)
Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger (S. 272)