Ausstellung
"Droste (Second sight)" nennt Aribert von Ostrowski seine Ausstellung im Museum für Westfälische Literatur, die er auf Einladung der Literaturkommission für Westfalen entwickelt hat. Er bezieht sich dabei, wie bereits in seiner Meersburger Ausstellung "The Nest. Annette lacht." von 2005, auf die Autorin Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848). Dass das "(Second sight)" des aktuellen Ausstellungstitels (einschließlich Klammern!) dem Titel des Droste-Gedichtes "Vorgeschichte (Second sight)" entspricht, ist nur eine der in der Ausstellung aufgeworfenen Implikationen. Indem Ostrowski "Vorgeschichte" im Sinne der Montage durch "Droste" ersetzt, verfährt er methodisch vergleichbar zu vielen seiner Zeichnungen, Bildern und Installationen.
Die Ausstellung ist vom 1. September bis zum 5. November auf dem Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde zu sehen. Ein literarisches Kammerkonzert bereichert die künstlerische Auseinandersetzung mit Annette von Droste-Hülshoff auf eine einzigartige Weise. Der Kontrabassist Bernd von Ostrowski hat drei Musikstücke der Droste zu eigenen Kompositionen umgesetzt, die er zur Eröffnung der Ausstellung seines Bruders am 1. September zu Gehör bringt. Dazu rezitiert die Schauspielerin Sabine Negulescu Gedichte der bedeutendsten Dichterin Westfalens.
Aribert von Ostrowskis künstlerische Arbeiten thematisieren die Verunsicherungen im Prozess der Verortung des Subjekts in der Welt. Sie entwerfen Stadien eines Ich, das gezwungen ist, sich in der irritierenden Vielfalt des postmodernen Lebens zurechtzufinden. Das entspricht den literarischen Bildern der Droste, bei der häufig ein tief verunsichertes Ich spricht, das nach Orientierung sucht in einer als diffus und brüchig empfundenen Zwischenwelt. Die Autorin formuliert in ihren Texten die Erschütterung der vertrauten Verhältnisse, die Verwirrung der Wahrnehmung, den Verlust des festen Bodens. So fokussieren ihre Werke, ähnlich wie es für Ostrowski gilt, vor allem den Prozess der Veränderung, der Transformation. Die Auseinandersetzung Ostrowskis mit dem Droste-Werk kulminiert in dem vielfach gestalteten Bild der Gottesanbeterin, jenem seltsam anmutenden Insekt, das in kontemplativ andächtigen Haltungen innehält und so verschiedene Stadien des Ich auszudrücken scheint. Hier fühlt sich der Betrachter unwillkürlich erinnert an das bekannte Droste-Gedicht "Das Spiegelbild", in dem sich das lyrische Ich mit seinen nicht-manifesten Varianten konfrontiert sieht. Ostrowskis Entwürfe unterschiedlicher Zustands-Stufen spiegeln den Prozess des Wandels, und dabei gilt sein Interesse dem mutierenden 'point of view', der sich stets verschiebenden Perspektive. Die Ausstellung "Droste (Second sight)" umfasst eine Reihe unterschiedlicher Bildserien und Zeichnungsfolgen, die in ihrem stark skripturalen Gestus als Reflex auf Drostes Gedichte gelesen werden können, dazu diverse großformatige Arbeiten, Collagen und Aquarellzeichnungen.
Insgesamt eine ebenso anregende wie mutige Auseinandersetzung, die den Brückenschlag wagt zwischen Biedermeier, Realismus und Postmoderne, zwischen dem Künstler-Ich des 19. und des 21. Jahrhunderts, zwischen Text und Bild - ein Beispiel dafür, wie sich durch den inspirierten Dialog zwischen Kunst und Literatur, Gegenwart und Vergangenheit überraschende neue Lesarten ergeben können.
Künstlerprofil: Aribert von Ostrowski
Das künstlerische Werk Aribert von Ostrowskis bewegt sich zwischen opulenter bildnerischer Varianz und konzentrierter graphischer Reduktion. Vielen seiner Arbeiten ist ein besonderes Interesse an der Beziehung von Zeichen, Wort und Darstellung zu Eigen, als sich darin die Frage nach der Schnittmenge von gesellschaftlicher Aussagekraft und künstlerischem 'Individualismus' zuspitzt. Stets setzt Ostrowski einen denkaktiven Betrachter voraus. Seine Arbeitsweise erzeugt eine Art 'produktiven Mangel', der vom Rezipienten ein Zu-Ende-Denken verlangt. Der Künstler Aribert von Ostrowski wurde 1953 im nordhessischen Günsterode geboren und lebt heute in Berlin. Seine Kindheit verbrachte er in einem Dorf bei Göttingen und wuchs später im westfälischen Gronau auf. Nach dem Studium an der Münchener Kunstakademie wurde er in den 1980er Jahren mit zahlreichen Projekten überregional bekannt. Neben architektur- und ortsbezogenen Arbeiten, zeichen- und modellhaften Skulpturen, Collagen sowie Installationen produzierte Ostrowski seit jeher Bildserien in Form von kleinformatigen Zeichnungen. In ihnen manifestiert sich ein künstlerisches Denken in Bildern, das – aus der postmodernen Erfahrung kommend - nach neuen Orientierungen des Ich sucht. Dabei bezeichnen seine Arbeiten niemals eine bestimmte Sicht, sondern erzeugen eine Vielfalt von Ansichten und betonen das Prozessuale der künstlerischen Erfindung und der Anschauung. Wie aus einem großen Gedankenpool scheinen seine kleinformatigen, oft auf den Blättern eines Notizkalenderbuches fixierten Zeichnungsserien zu entstehen. Sie entwerfen ein vielfaches Bild, wenden es, variieren und entwickeln es und lassen auf diese Weise unterschwellig wirkende Strukturen und Zusammenhänge erkennbar werden.
Künstlerprofil: Bernd von Ostrowski
Der Kontrabassist Bernd von Ostrowski, geb. 1956, ist wie sein Bruder Aribert u.a. im westfälischen Gronau aufgewachsen und lebt heute in Hamburg. Nach der klassischen Ausbildung auf dem Bass studierte er in den USA bei Größen des Jazz wie Ornette Coleman, Charlie Haden und Don Cherry. Stark beeinflusst ist er von dem zeitgenössischen italienischen Bass-Virtuosen und Komponisten Fernando Grillo. So reiht sich Ostrowski ein unter diejenigen Künstler, die den Bass, der seine Ursprünge im Barock hat, im Verlauf des 20. Jahrhunderts stark nach vorn gespielt haben. Bernd von Ostrowski bereichert das Droste-Projekt durch einen ebenso interessanten wie ungewöhnlichen Aspekt, der in seiner Form einzigartig ist. Der Musiker hat drei Stücke Annette von Droste-Hülshoffs zu eigenen Kompositionen umgesetzt, die er allein auf dem Kontrabass intoniert. Ostrowskis 'Verarbeitungen' beziehen sich stark auf einen sprachlichen Aspekt der Musik. Sie betonen Impulse des Erzählens und transformieren die emotionale Sprache der Droste-Liedkompositionen durch neue Konnotationsbezüge. Erzeugt wird ein sprachlicher Musikduktus, der manchmal als Rückkoppelung, manchmal wie eine Art Morseschrift funktioniert. Motive aus Droste-Stücken werden so in neue rhythmische und klangliche Formen übersetzt.
Künstlerprofil: Sabine Negulescu
Die in Siegen geborene Rezitatorin Sabine Negulescu ist nach 15-jährigem Aufenthalt in Paris ins Westfälische zurückgekehrt. Als Schauspielerin war sie in zahlreichen Theaterproduktionen in Deutschland und Frankreich tätig. Anlässlich der Ausstellung Aribert von Ostrowskis "Droste (Second sight)" erscheint in Kürze ein Booklet mit Farbabbildungen von Zeichnungen in Originalgröße, ergänzt durch den Abdruck von Droste-Gedichten sowie einen einführenden Text von Jochen Grywatsch. Dem Booklet ist eine CD eingelegt mit den Einspielungen Bernd von Ostrowskis „Drei Stücke für Kontrabass allein nach Originalkompositionen der Annette von Droste-Hülshoff“ sowie Rezitationen von Droste-Gedichten von Sabine Negulescu.
Publikation
Ostrowski, Aribert von: Droste (Second sight). Eine Ausstellung im Museum für Westfälische Literatur (Nottbeck). Hrsg. von Jochen Grywatsch. Bielefeld: Aisthesis 2007. 64 S.
Der vorliegende Katalog mit CD entstand anlässlich der von der Literaturkommission für Westfalen angeregten Ausstellung »Droste (Second sight)« von Aribert von Ostrowski, die vom 1. September bis zum 5. November 2006 im Museum für Westfälische Literatur in Oelde-Stromberg zu sehen war. Das Konzert »Drei Stücke für Kontrabass allein nach Originalkompositionen der Annette von Droste-Hülshoff« von Bernd von Ostrowski bildete zusammen mit Rezitationen von Droste-Gedichten durch die Schauspielerin Sabine Negulescu den Auftakt einer perspektivenreichen Auseinandersetzung mit dem Werk der Annette von Droste-Hülshoff auf dem Kulturgut Haus Nottbeck.