Instinkt
Bin ich allein, verhallt des Tages Rauschen
Im frischen Wald, im braunen Haideland,
Um mein Gesicht die Gräser nickend bauschen,
Ein Vogel flattert an des Nestes Rand,
Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund,
Gleich Feuerwürmern seine Augen glimmen,
Dann kommen mir Gedanken, ob gesund,
Ob krank, das mag ich selber nicht bestimmen.
Ergründen möcht ich, ob das Blut, das grüne,
Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt,
Ob DIONAEA* um die kühne Biene
Bewußtlos ihre rauhen Netze schlägt,
Was in dem weißen Sterne** zuckt und greift,
Wenn er, die Fäden streckend, leise schauert,
Und ob, vom Duft der Menschenhand gestreift,
Gefühllos ganz die Sensitive trauert?
Und wieder muß ich auf den Vogel sehen,
Der dort so zürnend seine Federn sträubt,
Mit kriegerischem Schrei mich aus den Nähen
Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt.
Was ist Instinkt? - tiefsten Gefühles Heerd;
Instinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde,
Als jene Fürstin, von der Glut verzehrt,
Als Heilge ward posaunt in alle Winde.
Und du, mein zottger Tremm, der schlafestrunken
Noch ob der Herrin wacht, und durch das Grün
Läßt blinzelnd streifen seiner Blicke Funken,
Sag an, was deine klugen Augen glühn?
Ich bin es nicht, die deine Schale füllt,
Nicht gab der Nahrung Trieb dich mir zu eigen,
Und mit der Sklavenpeitsche kann mein Bild
Noch minder dir im dumpfen Hirne steigen.
Wer kann mir sagen, ob des Hundes Seele
Hinaufwärts, oder ob nach unten steigt?
Und müde, müde drück' ich in die Schmehle
Mein Haupt, wo siedend der Gedanke steigt.
Was ist es, das ein hungermattes Thier,
Mit dem gestohlnen Brode für das bleiche
Blutrünst'ge Antlitz, in das Waldrevier
Läßt flüchten und verschmachten bei der Leiche?
Das sind Gedanken, die uns könnten tödten,
Den Geist betäuben, rauben jedes Glück,
Mit tausendfachem Mord die Hände röthen,
Und leise schaudernd wend' ich meinen Blick.
O schlimme Zeit, die solche Gäste rief
In meines Sinnens harmlos lichte Bläue!
O schlechte Welt, die mich so lang' und tief
Ließ grübeln über eines Pudels Treue!
* DIONAEA MUSCIPULA, auch "die Fliegenfalle" genannt
** SPARMANNIA
Dionaea] Venusfliegenfalle (dionea muscipula). Siehe auch hier (externer Link) [z.B. www.fleischfressendepflanzen.de/gattungen/dionaea/dionaea.html]
in dem weißen Sterne] Die Zimmerlinde (sparmannia africana) trägt weiße Blüten.
Sensitive] Die Mimosa pudica klappt, ähnlich wie die Zimmerlinde, die Fieder ihrer Blätter bei Berührung nach oben. Siehe auch hier.
Nähen] Nähe
jene Fürstin] wohl Fürstin Pauline von Schwarzenberg (1774-1810), die auf einer Feier bei einem Brand ihr Kind aus den Flammen retten wollte und dabei selbst umkam.
Tremm] wohl Name des Hundes.
Schmehle] auch Schmiele: Grasart mit schlanken Halmen.
Hier gelangen Sie zum Druck des Gedichts in der Ausgabe 1844.