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Mein Beruf

"Was meinem Kreise mich enttrieb,
Der Kammer friedlichem Gelasse?"
Das fragt ihr mich als sey, ein Dieb,
Ich eingebrochen am Parnasse.
So hört denn, hört, weil ihr gefragt:
Bei der Geburt bin ich geladen,
Mein Recht soweit der Himmel tagt,
Und meine Macht von Gottes Gnaden.

Jetzt wo hervor der todte Schein
Sich drängt am modervollen Stumpfe,
Wo sich der schönste Blumenrain
Wiegt über dem erstorbnen Sumpfe,
Der Geist, ein blutlos Meteor,
Entflammt und lischt im Moorgeschwehle,
Jetzt ruft die Stunde: "tritt hervor,
Mann oder Weib, lebend'ge Seele!

Tritt zu dem Träumer, den am Rand
Entschläfert der Datura Odem,
Der, langsam gleitend von der Wand,
Noch zucket gen den Zauberbrodem.
Und wo ein Mund zu lächeln weiß
Im Traum, ein Auge noch zu weinen,
Da schmettre laut, da flüstre leis,
Trompetenstoß und West in Hainen!

Tritt näher, wo die Sinnenlust
Als Liebe gibt ihr wüstes Ringen,
Und durch der eignen Mutter Brust
Den Pfeil zum Ziele möchte bringen,
Wo selbst die Schande flattert auf,
Ein lustiges Panier zum Siege,
Da rüttle hart: "wach auf, wach auf,
Unsel'ger, denk an deine Wiege!"

Denk an das Aug', das überwacht
Noch eine Freude dir bereitet,
Denk an die Hand, die manche Nacht
Dein Schmerzenslager dir gebreitet,
Des Herzens denk, das einzig wund
Und einzig selig deinetwegen,
Und dann knie nieder auf den Grund
Und fleh' um deiner Mutter Segen!

Und wo sich träumen wie in Haft
Zwei einst so glüh ersehnte Wesen,
Als hab' ein Priesterwort die Kraft,
Der Banne seligsten zu lösen,
Da flüstre leise: "wacht, o wacht!
Schaut in das Auge euch, das trübe,
Wo dämmernd sich Erinnrung facht,
Und dann: wach auf, o heil'ge Liebe!"

Und wo im Schlafe zitternd noch
Vom Opiat die Pulse klopfen,
Das Auge dürr, und gäbe doch
Sein Sonnenlicht um einen Tropfen, -
O, rüttle sanft! "Verarmter, senk'
Die Blicke in des Aethers Schöne,
Kos' einem blonden Kind und denk'
An der Begeistrung erste Thräne."

So rief die Zeit, so ward mein Amt
Von Gottes Gnaden mir gegeben,
So mein Beruf mir angestammt,
Im frischen Muth, im warmen Leben;
Ich frage nicht ob ihr mich nennt,
Nicht fröhnen mag ich kurzem Ruhme,
Doch wißt: wo die Sahara brennt,
Im Wüstensand, steht eine Blume,

Farblos und Duftes baar, nichts weiß
Sie, als den frommen Thau zu hüten,
Und dem Verschmachtenden ihn leis
In ihrem Kelche anzubieten.
Vorüber schlüpft die Schlange scheu
Und Pfeile ihre Blicke regnen,
Vorüber rauscht der stolze Leu,
Allein der Pilger wird sie segnen.


 

 

Gelasse] Gelaß: bequemer Raum.
Parnasse] Parnass: Berg des Apoll und der Musen; das Reich der Dichtung.
Blumenrain] Rain: Grasstreifen.
Moorgeschwehle] schwelen: langsam flammenlos brennen, glimmen.
Datura] Zierpflanze, mit großen weißen Trichterblüten aus der Gattung der Nachtschattengewächse, stark duftend mit narkotischer Wirkung, siehe auch hier.

Zauberbrodem] Brodem: Qualm, Dampf, Dunst.
Panier] Banner, Fahne, Wahlspruch.

Leu] Löwe.

 

Hier gelangen Sie zum Druck des Gedichts in der Ausgabe 1844.