Vanitas Vanitatum! R.I.P.
Ihr saht ihn nicht im Glücke,
Als Schaaren ihm gefolgt,
Mit Einem seiner Blicke
Er jeden Haß erdolcht,
Das Blut an seinen Händen
Wie Königspurpur fast,
Und flammenden Geländen
Entstieg des Nimbus Glast;
Saht nicht, wie stolz getragen
Schulfreund und Kamerad
Die Stirn, mit welchem Zagen
Der Fremdling ihm genaht,
Wenn mit Kolosses Schreiten
Das Klippenthor er stieß,
Die kleinen Segel gleiten
An seiner Sohle ließ.
Ihr habt ihn nicht gesehen,
Ihr Augen jugendklar,
Du Haupt wo Ringel wehen
Von süßem Lockenhaar;
Jünglinge, blühnde Frauen,
Ihr saht ihn nicht im Glanz,
Ihn, seines Landes Grauen
Und allergrünsten Kranz.
Vielleicht doch saht ihr streifen
Den alten kranken Leun,
Saht seine Mähne schleifen
Und zittern sein Gebein,
Saht wie die breiten Pranken
Er matt und stöhnend hob,
Wie taumelnd seine Flanken
Er längs der Mauer schob.
Und Scheitel saht ihr, weiße,
Am Fensterglase spähn,
Die dann mit scheuem Fleiße
Sich hinter'n Vorhang drehn;
Vernahmt der Knaben Lachen,
Der Greise schmerzlich Ach,
Wenn er im freien flachen
Geländ' zusammen brach.
Allein ihr horcht als rede
Ich von dem Tartarchan,
Mit Augen weit und öde
Starrt ihr mich lange an,
Und Einer ruft: "O schauet,
Wie man ein Ehrenmal
Obscurem Burschen bauet!
Wer war der General?"
Das Gedicht steht im Zusammenhang mit dem Tod des Generals Hans Georg von Hammerstein-Equord (1771-1841)
VANITAS VANITATUM] (lat.) Eitelkeit der Eitelkeit.
R.I.P.] (lat.) requiescat in pace: Er ruhe in Frieden.
des Nimbus Glast] Glast: Glanz.
mit Kolosses Schreiten] vielleicht Reminiszenz an Shakespeares „Julius Caesar“ (I,2).
seines Landes Grauen] Hammerstein trat 1807 in das Heer des Königs Jerôme von Westfalen ein und blieb bis 1813 in Diensten der Franzosen, die in den napoleonischen Kriegszügen den Deutschen schweren Schaden zufügten.
Leun] Leu: Löwe.
Tartarchan] Chan: mongolisch-türkischer Herrschertitel, Tartarenfürst.
Ehrenmal] Ein öffentliches Ehrenmal Hammersteins existiert nicht.
Obscurem] obscur: hier verächtlich für unedel, niedrig; auch: unbekannt
Hier gelangen Sie zum Druck des Gedichts in der Ausgabe 1844.