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Der Haidemann*

"Geht, Kinder, nicht zu weit in's Bruch,
Die Sonne sinkt, schon surrt den Flug
Die Biene matter, schlafgehemmt,
Am Grunde schwimmt ein blasses Tuch,
Der Haidemann kömmt! –"

Die Knaben spielen fort am Raine,
Sie rupfen Gräser, schnellen Steine,
Sie plätschern in des Teiches Rinne,
Erhaschen die Phalän' am Ried,
Und freu'n sich, wenn die Wasserspinne
Langbeinig in die Binsen flieht.

"Ihr Kinder, legt euch nicht in's Gras,
Seht, wo noch grad' die Biene saß,
Wie weißer Rauch die Glocken füllt.
Scheu aus dem Busche glotzt der Haas,
Der Haidemann schwillt! –"

Kaum hebt ihr schweres Haupt die Schmehle
Noch aus dem Dunst, in seine Höhle
Schiebt sich der Käfer und am Halme
Die träge Motte höher kreucht,
Sich flüchtend vor dem feuchten Qualme,
Der unter ihre Flügel steigt.

"Ihr Kinder, haltet euch bei Haus,
Lauft ja nicht in das Bruch hinaus;
Seht, wie bereits der Dorn ergraut,
Die Drossel ächzt zum Nest hinaus,
Der Haidemann braut! –"

Man sieht des Hirten Pfeife glimmen,
Und vor ihm her die Heerde schwimmen,
Wie Proteus seine Robbenschaaren
Heimschwemmt im grauen Ocean.
Am Dach die Schwalben zwitschernd fahren
Und melancholisch kräht der Hahn.

"Ihr Kinder, bleibt am Hofe dicht,
Seht, wie die feuchte Nebelschicht
Schon an des Pförtchens Klinke reicht;
Am Grunde schwimmt ein falsches Licht,
Der Haidemann steigt! –"

Nun strecken nur der Föhren Wipfel
Noch aus dem Dunste grüne Gipfel,
Wie über'n Schnee Wacholderbüsche;
Ein leises Brodeln quillt im Moor,
Ein schwaches Schrillen, ein Gezische
Dringt aus der Niederung hervor.

"Ihr Kinder, kommt, kommt schnell herein,
Das Irrlicht zündet seinen Schein,
Die Kröte schwillt, die Schlang im Ried;
Jetzt ist's unheimlich draußen sein,
Der Haidemann zieht! –"

Nun sinkt die letzte Nadel, rauchend
Zergeht die Fichte, langsam tauchend
Steigt Nebelschemen aus dem Moore,
Mit Hünenschritten gleitet's fort;
Ein irres Leuchten zuckt im Rohre,
Der Krötenchor beginnt am Bord.

Und plötzlich scheint ein schwaches Glühen
Des Hünen Glieder zu durchziehen;
Es siedet auf, es färbt die Wellen,
Der Nord, der Nord entzündet sich –
Glutpfeile, Feuerspeere schnellen,
Der Horizont ein Lavastrich!

"Gott gnad' uns! wie es zuckt und dräut,
Wie's schwehlet an der Dünenscheid'! –
Ihr Kinder, faltet eure Händ',
Das bringt uns Pest und theure Zeit –
Der Haidemann brennt! –"

 

* Hier nicht das bekannte Gespenst, sondern die Nebelschicht, die sich zur Herbst- und Frühlingszeit Abends über den Haidegrund legt.

 

 

 

Bruch] ein mit Bäumen und Gesträuch bestandenes Sumpfgelände.

Tuch] Gemeint ist der Nebel.

Phalän'] Spanner (Nachtfalter).
Ried] Schilf, Röhricht, Sumpf.

Glocken] glockenförmige Blüten.
Schmehle] Schmele, auch Schmiele: Grasart mit schlanken Halmen.

braut] Vorstellung von ‚brauen‘ und ‚kochen‘ in Verbindung mit dem Phänomen des aufsteigenden Nebels oder Wasserdampfs.
Bord] Ufer, Rand.
Nord] das Nordlicht; im Aberglauben ein Unglückszeichen.

 

Hier gelangen Sie zum Druck des Gedichts in der Ausgabe 1844.