Auch ein Beruf
Die Abendröthe war zerflossen,
Wir standen an des Weihers Rand,
Und ich hielt meine Hand geschlossen
Um ihre kleine kalte Hand;
"So müssen wir denn wirklich scheiden?
Das Schicksal würfelt mit uns Beiden,
Wir sind wie herrenloses Land.
Von keines Heerdes Pflicht gebunden,
Meint Jeder nur, wir seien, grad
Für sein Bedürfniß nur erfunden,
Das hülfbereite fünfte Rad.
Was hilft es uns, daß frei wir stehen,
Auf keines Menschen Hände sehen?
Man zeichnet dennoch uns den Pfad.
Wo dicht die Bäume sich verzweigen,
Und um den schlanken Stamm hinab,
Sich tausend Nachbaräste neigen,
Da schreitet schnell der Wanderstab.
Doch drüben sieh die einzle Linde,
Ein Jeder schreibt in ihre Rinde,
Und Jeder bricht ein Zweiglein ab.
O hätten wir nur Muth, zu walten
Der Gaben die das Glück bescheert!
Wer dürft uns hindern? wer uns halten?
Wer kümmern uns den eignen Heerd?
Wir leiden nach dem alten Rechte:
Daß wer sich selber macht zum Knechte,
Nicht ist der goldnen Freiheit werth.
Zieh hin, wie du berufen worden,
In der Campagna Glut und Schweiß!
Und ich will ziehn in meinen Norden,
Zu siechen unter Schnee und Eis.
Nicht würdig sind wir bessrer Tage,
Denn wer nicht kämpfen mag der trage!
Dulde wer nicht zu handeln weiß!"
So ward an Weihers Rand gesprochen,
In Zorne halb, und halb in Pein.
Wir hätten gern den Stab gebrochen,
Ob all den kleinen Tyrannein.
Und als die Regenwolken stiegen,
Da bahnten wir erst mit Vergnügen
Uns in den Aerger recht hinein.
So lang die Tropfen einzeln fielen,
War's Naphthaöl in unsern Trutz;
Auch Eins von des Geschickes Spielen,
Zum Schaden uns und keinem nutz!
Doch als der Himmel Schlossen streute,
Da machten wir's wie andre Leute,
Und suchten auch der Linde Schutz.
Dort hockt ein Häuflein dicht beisammen,
Sich schauernd unterm Blätterdach;
Die Wolke zuckte Schwefelflammen,
Und jagte Regenstriemen nach.
Wir hörtens auf den Blättern springen,
Jedoch kein Tropfen konnte dringen
In unser laubiges Gemach.
Fürwahr ein armes Häuflein war es,
Was hier dem Wettersturm entrann;
Ein hagrer Jud' gebleichten Haares,
Mit seinem Hund ein blinder Mann,
Ein Schuladjunkt im magren Fracke,
Und dann, mit seinem Bettelsacke,
Der kleine hinkende Johann.
Und Alle sahn bei jedem Stoße
Behaglich an den Stamm hinauf
Rückten die Bündelchen im Schooße,
Und drängten lächelnd sich zuhauf,
Denn wie so hohler schlug der Regen,
So breiter warf dem Sturm entgegen
Der Baum die grünen Schirme auf.
Wie kämpfte er mit allen Gliedern
Zu schützen was sich ihm vertraut!
Wie freudig rauscht er, zu erwiedern
Den Glauben, der auf ihn gebaut!
Ich fühlte seltsam mich befangen,
Beschämt, mit hocherglühten Wangen,
Hab' in die Krone ich geschaut.
Des Baums der, keines Menschen Eigen,
Verloren in der Haide stand,
Nicht Früchte trug in seinen Zweigen,
Nicht Nahrung für des Heerdes Brand,
Der nur auf Gottes Wink entsprossen
Dem fremden Haupte zum Genossen,
Dem Wandrer in der Steppe Sand.
Zur Freundin sah ich, sie herüber,
Wir dachten Gleiches wohl vielleicht,
Denn ihre Mienen waren trüber
Und ihre lieben Augen feucht.
Doch haben wir kein Wort gesprochen,
Vom Baum ein Zweiglein nur gebrochen
Und still die Hände uns gereicht.
Campagna] Landstrich in Mittelitalien, Provinz Rom; begreift im engeren Sinne die Umgebung von Rom.
Schuladjunkt] Adjunkt: Gehilfe eines Beamten oder dessen Stellvertreter.
Hier gelangen Sie zum Digitalisat der Erstveröffentlichung. Das Gedicht befindet sich auf Seite 248.