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Das Bild

I
Sie stehn vor deinem Bild und schauen
In dein verschleiert Augenlicht,
Sie prüfen Lippe, Kinn und Brauen,
Und sagen dann: "du seist es nicht,
Zu klar die Stirn, zu voll die Wange,
Zu üppig in der Locken Hange,
Ein lieblich fremdes Angesicht."

O wüßten sie es, wie ein treues
Gemüth die kleinsten Züge hegt,
Ein Zucken nur, ein flüchtig scheues,
Als Kleinod in die Seele legt,
Wie nur ein Wort, mit gleichem Klange
Gehaucht, dem Feinde selbst, das bange,
Bewegte Herz entgegen trägt.

Sie würden besser mich begreifen,
Sehn, deiner Locken dunklen Hag,
Sie mich mit leisem Finger streifen,
Als lüft' ich sie dem jungen Tag;
Den Flor mich breiten, dicht und dichter,
Daß deiner Augen zarte Lichter
Kein Sonnenstaub verletzen mag.

Was fremd dahin will ich nicht schauen,
Ich will nicht wissen wo sie brennt,
Ob an der Lipp', ob an den Brauen,
Die Flamme, die dein Herz nicht kennt;
Ich will nur sehn in deine Augen,
Den einen reinen Blick nur saugen,
Der leise meinen Namen nennt.

Ihn, der wie Aether mich umflossen,
Als in der ernsten Abendzeit
Wir saßen, Hand in Hand geschlossen,
Und dachten Tod und Ewigkeit;
Ihn, der sich von der Sonne Schwinden
Heilig gewendet mich zu finden,
Und lächelnd sprach: "ich bin bereit".

2
Und wär es wahr auch, daß der Jahre Pflug
Dir Furchen in die klare Stirn getrieben,
Nicht so elastisch deiner Lippen Zug
Bezeichne mehr dein Zürnen und dein Lieben,
Wenn dichter auch die Hülle dich umschlingt,
Durch die der Stral, der gottbeseelte, dringt,
Mir bist die immer Gleiche du geblieben.

Wenn minder stolz und edel die Gestalt,
Ich weiß in ihr die ungebeugte Seele,
Wenn es wie Nebel deinen Blick umwallt,
Ich weiß es, daß die Wolke Gluten hehle;
Und deiner weichen Stimme tiefrer Klang,
Verhallend, geisterhaft wie Wellensang,
Ich fühl' es daß kein Liebeswort ihm fehle.

O Fluch des Alters, wenn das beßre Theil
Mit ihm dem Gottesbilde müßte weichen!
Wenn minder liebewarm ein Lächeln, weil
Der Kummer ihm gelassen seine Zeichen,
Ein Auge gütig nur, so lange leicht
Und anmuthsvoll die Thräne ihm entschleicht,
Und ros'ge Wangen zücht'ger als die bleichen!

Und dennoch hält sie Alle uns bethört,
Die Form, die staubgeborne, wandelbare,
Scheint willig uns ein Ohr das leise hört,
Kühn einer frischen Stimme Siegsfanfare,
Wir Alle sehen nur des Pharus Licht,
Die Glut im Erdenschooße sehn wir nicht,
Und Keiner denkt der Lampe am Altare.

3
Ich weiß ein beßres Bild zu finden
Als jenes, das dir ferner weicht,
Wie tiefer deine Wurzeln gründen
Und reifer sich die Aehre neigt;
Ein beßres als zu dessen Rahmen,
Wenn Jahre schwanden, Jahre kamen,
Man wie sein eigner Schatten schleicht.

Lausch' ich am Strande ob der lauen
Entschlafnen Flut, mit scheuer Lust,
Wird unterm Flore dann, dem blauen,
Lebendig mir die ernste Rust,
Ich seh am Grunde die Korallen,
Ich seh der Fischlein goldig Wallen,
Und schaue tief in deine Brust.

Und wieder, an der Grüfte Bogen,
Seh' ich der Mauerflechte Stab
Mit tausend Ranken eingesogen
In des Gesteines Herz hinab,
Von Thaue schwer die grünen Locken,
Leuchtwürmer in der Wimper Flocken -
Das ist dein Lieben übers Grab.

Und wenn an der Genesung Bronnen
- Im Saale tafeln Stern und Band -
Sich Mittags kranke Bettler sonnen,
Begierig schlürfen über'm Rand
Und emsig ihre Schalen schwenken,
Dann muß ich an dein Geben denken,
An deine warme, offne Hand.

O jener Quell, der glüh' und leise,
Ein Sprudel, deiner Brust entquillt,
Der nichts von Flocken weiß und Eise,
Mit Segen seine Steppe füllt,
Ihm kann nur gleichen, wessen Walten
Nie siechen kann und nie veralten,
Und die Natur nur ist dein Bild.

 

 

 

 

Hag] Wald, Gebüsch.

Flor] feines Gewebe, Schleier.

des Pharus Licht] Der Leuchtturm auf der Halbinsel Alexandria zählte in der Antike zu den sieben Weltwundern.

Rust] Ruhe, Rast.

Stern und Band] im 18. Jahrhundert gebildete und zur Zeit der Droste geläufige Bezeichnung von Persönlichkeiten des geistigen und politischen Lebens.

 

Hier gelangen Sie zum Digitalisat der Erstveröffentlichung. Das Gedicht befindet sich auf Seite 515.