Der sterbende General
Er lag im dicht verhängten Saal,
Wo grau der Sonnenstrahl sich brach,
Auf seinem Schmerzensbette lag
Der alte kranke General;
Genüber ihm am Spiegel hing
Echarpe, Orden, Feldherrnstab,
Still war die Luft, am Fenster ging
Langsam die Schildwach' auf und ab.
Wie der verwitterte Soldat
So stumm die letzte Fehde kämpft!
Zwölf Stunden, seit zuletzt gedämpft
Um "Wasser" er um "Wasser" bat.
An seinem Kissen beugten Zwey,
Des Einen Auge rothgeweint,
Des Andern düster, fest und treu,
Ein Diener und ein alter Freund.
"Tritt seitwärts", sprach der Eine: "laß
Ihn seines Standes Ehren sehn, -
Den Vorhang weg! daß flatternd wehn
Die Bänder an dem Spiegelglas!"
Der Kranke schlug die Augen auf,
Man sah wohl daß er ihn verstand,
Ein Blick, ein leuchtender, und drauf
Hat er sich düster abgewandt.
"Denkst du, mein alter Kamerad,
Der jubelnden Viktoria?
Wie flogen unsre Banner da
Durch der gemähten Feinde Saat!
Denkst du an unsers Prinzen Wort:
- "Man sieht es gleich hier stand der Wart!"
Schnell, Conrad, nehmt die Decke fort,
Sein Odem wird so kurz und hart."
Der Obrist lauscht, er murmelt sacht:
"Verkümmert wie ein welkes Blatt!
Das Dutzend Friedensjahre hat
Zum Kapuziner ihn gemacht. -
Wart, Wart! du hast so frisch und licht
So oft dem Tode dich gestellt,
Die Furcht, ich weiß es, kennst du nicht,
So stirb auch freudig wie ein Held!
Stirb wie ein Leue, adelich,
In seiner Brust das Bleygeschoß,
O, stirb nicht wie ein zahnlos Roß
Das zappelt vor des Henkers Stich! -
- Ha, seinem Auge kehrt der Strahl -
Stirb, alter Freund, stirb wie ein Mann!"
Der Kranke zuckt, zuckt noch einmal,
Und "Wasser, Wasser!" stöhnt er dann.
Leer ist die Flasche. - "Wache dort,
He, Wache, du bist abgelöst!
Schau, wo ans Haus das Gitter stößt,
Lauf, Wache, lauf zum Borne fort! -
'S ist auch ein grauer Knasterbart,
Und strauchelt wie ein Dromedar -
Nur schnell, die Sohlen nicht gespart!
Was, alter Bursche, Thränen gar?"
"Mein Commandant", spricht der Uhlan
Grimmig verschämt: "ich dachte nach
Wie ich blessirt am Strauche lag,
Der General mir nebenan,
Und wie er mir die Flasche bot,
Selbst dürstend in dem Sonnenbrand,
Und sprach: "du hast die schlimmste Noth" -
Dran dacht' ich nur, mein Commandant."
Der Kranke horcht, durch sein Gesicht
Zieht ein verwittert Lächeln, dann
Schaut fest den Veteran er an. -
Die Seele, der Viktorie nicht
Nicht Fürstenwort gelös't den Fluch,
Auf einem Tropfen Menschlichkeit
Schwimmt mit dem letzten Athemzug
Sie lächelnd in die Ewigkeit.
Echarpe] (frz.) écharpe: Schärpe, „wird vorzugsweise gebraucht von der binde der offiziere, die über dem waffenrock um den leib oder über die rechte achsel bis zur linken hüfte getragen wird“ (Grimm, Deutsches Wörterbuch).
Bänder] Ordensbänder.
Wart] Eigenname.
grauer Knasterbart] ein altgedienter Soldat, Veteran.
Uhlan] Lanzenreiter.
Hier gelangen Sie zum Digitalisat der Erstveröffentlichung. Das Gedicht befindet sich auf Seite 335.